Manhattan
Woody Allen | US 1979 | 96 min | OVMit: Woody Allen, Diane Keaton, Michael Murphy, Mariel Hemingway, Meryl Streep
Die melancholische Liebeserklärung an New York City von dem lakonischen Filmkomiker Woody Allen ist eine ebenso poetische als auch bissig-schmerzhafte Hommage des „Stadtneurotikers“ an seine geliebte wie verhasste Geburtsstadt. 1979 für zwei AA-Oscars nominiert, gilt „Manhattan“ als eines von Hollywoods Klassikern, welches zudem auch ein schillerndes Porträt der Post-Moderne ist, das man vielleicht – so im Times Magazine – in ein paar Jahrzehnten voller Bewunderung und Erkenntnisgewinn studieren und goutieren wird. Mit diesem Epos und Denkmal an die Stadt Manhattan hat Allen, der allseits bekannte „Stadtneurotiker“, nicht nur sich selbst ein Denkmal gesetzt, sondern auch sensibel und klug ein selbstironisches, anrührendes und treffsicheres Portrait moderner Beziehungen vor dem Hintergrund der gleichmütigen Stadt und ihre immer raffinierten Zerstreuungs- und Entfremdungsmechanismen gezeichnet. Gleich die grandiose Eröffnungssequenz des Films aus Bild, Kommentar und Ton, untermalt von Gershwins großartige „Rhapsody in Blue“, ist Exposition und eine wunderbare Lieblingserklärung an die Metropole zugleich.
Die stimmungsvolle und elegante Schwarzweiß-Photographie des ausgezeichneten Kameramannes Gordon Willis sowie die nostalgische Filmmusik „Rhapsody in Blue“ von George Gershwin betonen mehr als in Allens früheren Oeuvre die romanistischen Untertöne seines jüdischen Humors und die brillante Glanzlichter der Großstadt. Das Epos bietet die vertrauten Handlungs- bzw. Spielorte des Films, übrigens allesamt städtische Wahrzeichen von Manhattan: die Nobeleinkaufstraße Fifth Avenue, Broadway, das Guggenheim-Museum, die Carnegie Hall, die Radio City Music Hall, der Plaza im Rockefeller Centre, das Empire State Gebäude, die Brooklyn Brücke, der Central Park, die Stammlokalen, Restaurants und Delikatessenläden des Regisseurs. Kommentiert werden die Breitwandbilder einerseits von Gershwins bitter-süßen sowie überwältigenden Ohrwürmer, deren synkopischer Rhythmus auch die Montage bis ins letzte Detail bestimmen; anderseits vom Kommentar des Ich-Erzählers und Alter-Egos Isaac Davis (Woody Allen), der nach dem zündenden und definitiven Eingangssatz für seinen neuen Roman sucht. Nach langem Hin-und-Her, fasst sich Isaac kurz und bündig: „New York war seine Stadt … und würde es immer sein!“ Wie Protagonist Isaac nach dem Schlüsselsatz sucht, so sehnen sich die um ihm herum gruppierten Personen, nach Sinn, Zweck und Sinn des Daseins, stets auf der Suche nach dem Glück und einem idealen Wunschpartner oder der eigentlichen Berufung im Leben. Mit dieser heiterten, jedoch ironisch-bitteren Komödie, erreichte der Autor und Regisseur Woody Allen den Höhepunkt seiner „Stadtfilme“.
Nach „Annie Hall“ (1976) markiert „Manhattan“ den endgültigen Wendepunkt von der leichten Muse seiner früheren Komödien zu seinem spezifisches Fach der ernsten Beziehungsgeschichten, in den Allen noch immer humorvoll, doch leicht verbittert die Lebens- und Beziehungskrisen seines engeren Freundeskreis und jüdischen Milieus vorführt. Interessant in diesem Zusammenhang ist zu bemerken, wie die Kameraeinstellung verrät, dass die Inselbewohner von Manhattan eigentlich nicht über ihren eigenen Lebens- und Aktionsraum verfügen, sondern im Gegenteil deplaziert und entfremdet wirken. Der dichte städtische Umraum – entweder klaustrophobische Einstellungen von engen Straßenschluchten oder befreiende und wirkungsvolle Totalen bzw. Panorama-Panshots von der Stadtlandschaft – bestimmt jedoch alle ihren Aktionskreis und Radius und deshalb auch die Kamera- und Zuschauerperspektive. (Text: Helmut Weihsmann)